Die literatur im umbruch das spate mittelalter — страница 10
er wohl auch sein Publikum gesucht hat, weil sie einzig in der Lage waren, die Summe seiner Anspielungen auf den zeitgenössischen Bildungshorizont zu verstehen. „Das Werk enthält die Synthese der Möglichkeiten spätmittelalterlicher Dichtung. Wir haben damit ein Epos vor uns von inneren Dimensionen, wie es die Zeit schon lange nicht mehr aufzuweisen hatte. Weltbild und Wirklichkeitsauffassung des Dichters ermöglichen seinem eminenten Gestaltungsvermögen die enge Verbindung von kräftigem Naturalismus und willkürlich-grotesker Phantastik, Übersteigerung und Verzerrung“ (H. Rupprich). Großer Beliebtheit erfreuten sich Schwänke, deren Hauptfigur Till Eulenspiegel war. Er war ein Bauernschelm, der Anfang des 14. Jahrhunderts in Deutschland gelebt haben soll. In den zahlreichen Volksbüchern und Legenden wurde Till Eulenspiegel zum Prototyp des bauernschlauen Pfiffikus, der einfaches Volk und Standespersonen durch List und Wortwitz hinters Licht führt und des Öfteren auch in bescheidenem Maße schädigt. Berühmt ist die Episode, in der er als Bäckergehilfe einen ärgerlichen Ausspruch seines Brotherrn wörtlich nimmt und „Eulen und Meerkatzen” backt. Ansonsten wurden meist Respektspersonen, wie etwa kirchliche Würdenträger und Adelige, übertölpelt. Eulenspiegel reflektiert dabei auch satirisch-ironisch die herrschenden gesellschaftlichen Konventionen [2; S.124-127]. Michail Bachtin, wichtigster Theoretiker dieser spätmittelalterlichen Lachkultur, schreibt: „Das mittelalterliche Lachen ist kein subjektiv-individuelles und kein biologisches Empfinden der Unaufhörlichkeit des Lebens – es ist ein soziales, ein das ganze Volk umfassendes Empfinden. Der Mensch empfindet die Unaufhörlichkeit des Lebens auf dem öffentlichen Festplatz, in der Karnevalsmenge, indem er sich mit fremden Leibern jeden Alters und jeder sozialen Stellung berührt. Er fühlt sich als Glied des ewig wachsenden und sich erneuerndes Volkes. Deshalb schließt das festtägliche Lachen des Volkes nicht nur das Moment des Sieges über die Furcht vor den Schrecken des Jenseits, vor dem Geheiligten, vor dem Tod in sich ein, sondern auch das Moment des Sieges über jede Gewalt, über die irdischen Herrscher, über die Mächtigen der Erde, über alles was knechtet und begrenzt. Indem das mittelalterliche Lachen die Angst vor dem Geheimnis, vor der Welt und vor der Macht besiegte, deckte es furchtlos die Wahrheit über Welt und Macht auf. Es stellte sich der Lüge und der Beweihräucherung, der Schmeichelei und der Heuchelei entgegen. Die Wahrheit des Lachens „senkte“ die Macht, paarte sich mit Fluchen und Schelte. Träger dieser Wahrheit war neben anderen auch der mittelalterliche Narr.“ KAPITEL 6 DIE WICHTIGSTEN ARTEN DER WELTLICHEN KLEINFORMEN DER DEUTSCHEN LITERATUR DES SPÄTEN MITTELALTERS Für gewöhnlich wird die italienische Renaissance als die Geburtsstunde der Novelle angesehen. Tatsächlich ohne die Leistung der italienischen Novellendichter, allen voran Boccaccios („Decamerone“ 1348/53), die Geschichte der neuzeitlichen Novelle gar nicht vorstellbar. Mag es zunächst auch so scheinen, als habe Deutschland daran zunächst nur rezeptiven Anteil, weil deutsche Humanisten im wesentlichen nur fremde Vorlagen übersetzen, so lehrt die Vor- und Frühgeschichte der Novelle doch eine andere Sicht, wonach die italienischen Kleinerzählungen gemäß der selbstbewussten Entwicklung der städtischen Kultur, in deren Raum sie entstehen, nach wie vor als andernorts nicht erreichbare Höhepunkte der Gattungsgeschichte gelten müssen, die anderen Literaturen Europas aber keineswegs ohne eigene beachtenswerte Leistungen auf dem Gebiet der Kleinepik sind. Die deutsche Entwicklung speist sich wie die italienische und andere aus mündlichem Erzählgut und mittelalterlichen Literarisierungen vor allem schwankhafter Natur. Durch Vermittlung französischer Texte hat auch sie Anteil an antiken Vorgaben, schlägt aber, bedingt durch Besonderheiten der außerliterarischer Situation, in Deutschland auch eigene Wege ein, deren gattungstheoretische Einordnung schwierig ist. Vielfach sind auch kleinepische Texte in Deutschland von standesspezifischen Diskussionen geprägt, bei denen die Dichter aus dem Gesamtinventar kleinepische Formen schöpfen. Daneben kommen einzelne nichthöfische Kleinepen, die von bürgerlichen Autoren stammen, in Form und Inhalt dem späteren Ideal der Novelle schon sehr nahe. Angesichts der „Unsicherheit“ der zeitgenössischer Benennungen für die sowohl in Versform wie in Prosa auftretenden Erzählungen ist es gelegentlich sogar irreführend, wenn einzelne Benennungen hochstilisiert werden. Irreführend insofern, als der lebendige Umgang mit
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